Sonntag, 11. August 2013

Weil wir alle Dummheiten machen: Alejandro Gonzáles Iñárritus Meisterwerk der Emotionen und menschlichen Nähe »Babel«.

Babel
Drama | Frankreich/USA/Mexiko 2006 | FSK 16 | 142 Minuten | Regie: Alejandro Gonzáles Iñárritu 


Wie Amelia im roten Abendkleid mit den Kindern durch die Wüste läuft, die taubstumme Chieko sich deprimiert durch die Nacht, die Menschenmassen und erleuchteten Straßen Tokios schleppt, die beiden berberischen Brüder sich auf weiten Hügeln mitten im Gebirge in den Wind legen, rückblickend auf die Momente, bevor es geschah, oder Richard am Telefon vor seinem kleinen Sohn in Tränen ausbricht, immer dann trifft mich Iñárritu mitten ins Herz. Amelia fasst es zum Ende hin endlich in Worte: »Ich bin nicht böse, ich habe nur eine Dummheit gemacht«. Genau so müssen wir den gesamten Film empfinden und erleben. Etwas Böses will hier niemand, nicht die Jungs, die mit dem Gewehr spielten, nicht Chieko, die verzweifelt vom Suizid ihrer Mutter auf der Suche nach Liebe, Zuneigung, jemandem, der ihr endlich zuhört, und selbstverständlich auch nach körperlicher Nähe ist, nicht Yussef, der seine Schwester beim Ausziehen beobachtet, und nicht einmal Santiago, der von Angst, Panik und Kopflosigkeit verleitet vor der Polizeikontrolle flüchtet. Menschen sind verwirrt, sie sind nicht immer rational, treffen nicht im richtigen Moment die klugen Entscheidungen, sie sind auch nicht immer anständig und erst recht sind wir keine Helden. Wir haben Schwächen, wir machen Fehler, enttäuschen und frustrieren andere Menschen. Manchmal sind wir dumm, manchmal naiv und manchmal viel zu emotional, um uns für den richtigen Weg zu entscheiden. Dafür werden wir viel zu sehr von unseren Gefühlen geleitet. Wir sind nicht böse, wir machen nur Dummheiten. 

Iñárritu sagte über den Film selbst, er wolle zeigen, wie die Menschen nicht mehr fähig dazu sind, sich zuzuhören und zu verständigen. Wir leben in einer Welt, in der jeder eine andere Sprache spricht, selbst, wenn dieselbe Sprache gesprochen wird, und wir scheuen uns davor, diese Barrieren zu überschreiten – sei es zwischen den Regierungen zweier Kontinente, zwischen Vater und Tochter oder zwischen der Ehefrau und dem Ehemann. Und doch ist »Babel« nicht derartig niederschmetternd wie Iñárritus schwermütiges Opus »21 Gramm«, der in seiner fast unerträglichen Feel-bad-Attitüde zu versinken droht. In »Babel« verbirgt Iñárritu sehr viel Hoffnung, Schönheit und Erleben, die das Leben wert sind. Wenn auf der mexikanischen Hochzeit langsam zu Chavela Vargas‘ »Tu Me Acostumbraste« getanzt wird zum Beispiel oder wenn Chieko am Ende des Films nackt auf dem Balkon steht, sie borgend von ihrem Vater in den Arm genommen wird und mir an dieser Stelle jedes Mal die Tränendrüse drückt, weil dieser Moment so befreiend und schön ist. Denn es braucht nur Liebe und jemand, der einem endlich zuhört. 



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