Donnerstag, 30. Mai 2013

Tsai Ming-liang: Ein Filmkünstler, der uns das Ticken des (einsamen) Menschen und der Welt ein wenig näher vor Augen bringt.


»I have my own messages, and I don’t want to deliver them bluntly.«

Wie er selbst sagt, sagt er uns nichts. So darf man sich selbst auf die Suche machen. Das Besondere an Tsai Ming-liang ist, dass er es gar nicht mehr nötig hat, uns vollendete Geschichten zu erzählen, sondern er uns das Leben zeigt, wie es tickt, wie der Mensch tickt und das Ding tickt, das man Schicksal nennen könnte. Und das häufig nur in seinen langen Bildstrecken – sei es der Protagonist aus »Der Fluß«, der mit seinem Moped über den Highway fährt und wir die Aufgabelungen der Autobahn sehen, als Symbol für all die sich kreuzenden, aber auch quer aneinander vorbei verlaufenden Lebenswege. Er erzählt nicht die großen Geschichten einiger Leben, er zeigt das kleine Erleben einiger Menschen – und sei es ein Mann, der auf einen schwachen Vogel trifft, der nicht mehr fliegen kann, wie in seinem nahezu künstlichen Ausnahmefilm »Visage«. Ming-liangs ständiger Begleiter: die menschliche Einsamkeit, die Isolation und die atemberaubende Kunst seiner Atmosphären und Stimmungen – der Höhepunkt: die letzten Minuten aus »Goodbye, Dragon Inn«; das Kino ist verstorben, im deprimierenden Regen erscheint eine verlassene Straßenecke in bläulichen Farbtönen, im Hintergrund ein erheiternder asiatischer Song, indem es heißt »Can’t let go«; ein trister Neo-noir-Moment, der seinesgleichen sucht, der wie so oft bei Tsai Ming-liang doch so hoffnungsvoll bleibt. Die Welt geht eben trotzdem nicht unter. Alles geht irgendwie, wenn auch selbst in Noir-Optik, weiter. Das Leben eben.

Dass Tsai Ming-liang Menschen ständig nackt zeigt, ist sicherlich ebenso viel Tsai-Klischee wie Tatsache, denn das wird zum unverzichtbaren Mittel für ihn, um uns in die Lebenswelten seiner Figuren zu führen – nun wurden sie uns gegenüber völlig enthüllt. Dass seine Filme völlig ohne erkennbaren Spannungsaufbau auskommen, ohne viele Worte und ohne große Aktion, wird eigentlich nur eben von dieser Figurennähe so realisierbar gemacht. Und am schönsten ist er, wenn er seine Musicaleinlagen so herrlich ins Irgendwo platziert, dass sie schon wieder passen – besonders eindrucksvoll in »Der letzte Tanz« und besonders wunderschön in »Visage«.

Tsai Ming-liang kann unglaublich verstörend sein – ich denke an die Dark-Room-Szenen aus »Der Fluß« oder das Ende von »Das Fleisch der Wassermelone«. Er kann unglaublich verliebt sein – ich denke an seine Liebeserklärungen an das französische Kino, »Sie küßten und sie schlugen ihn«, in »What Time Is It There?« oder ganz generell in »Goodbye, Dragon Inn«. Er kann wahnsinnig romantisch und herzerwärmend sein – wenn zwei vereinsamte Protagonisten in »Der letzte Tanz« durch ein Loch im Boden zueinander finden. Er kann so ehrlich, traurig und verzweifelt sein – ich denke an die onanierende, trauernde Ehefrau am Ende von »What Time Is It There?« oder der verzweifelte Tränenausbruch aus »Der letzte Tanz«. Und er kann unglaublich komisch sein – ich denke an seine subtile Komik, die sich jedes Mal trotz aller Tragik wiederspielt oder seine Zuspitzung der Komik in »Das Fleisch der Wassermelone«, in der der Mensch plötzlich halbnackt als Wasserdrache verkleidet und singend herumtollt. Kein Wunder, dass als Genre plötzlich Drama, Erotikfilm, Musical und Komödie gleichzeitig gelten. Aber Tsai Ming-liang, und da sind wir im Kern, ist immer menschlich; sein Gefühl und Verstand für den Menschen in seiner ganz alltäglichen Gefühlswelt ist einzigartig. Er fasst die ganz intimen Momente unseres alltäglichen Lebens in Bilder, die für uns plötzlich verschroben und absonderlich wirken – wenn die Protagonistin aus »Goodbye, Dragon Inn« seltsam an ihrem rosa Essen herumspielt, sie abstrus von der hinteren Sitzreihe im riesigen Kino nach vorne kriecht oder wenn die Hauptfigur aus »What Time Is It There?« plötzlich in eine Plastiktüte pinkelt, dann verspüren wir etwas irgendwie sehr fremdartiges, komisches, andererseits aber auch sehr erwärmendes und beruhigendes, denn es ist doch egal, wir alle sind irgendwie bizarr und haben unsere Eigenarten, wir alle sind manchmal deprimiert und haben alle mal mit uns selbst und unserem Schicksal zu kämpfen.

Sicherlich sind Tsai Ming-liangs Filme keine, die man in aller Ungeduld sehen kann, selbst wenn ihre beschauliche Lauflänge das weismachen möchte. Sie sind langsame, aber wunderschöne Erfahrungen aus einer, für uns, räumlich fernen Welt. Und dennoch fühlen sie nichts anderes als das, was uns zum Menschen macht und den ganz normalen Kitzel unseres Lebens ausmacht: die Schwierigkeit des Lebens. Vielleicht ein wenig wie Iñárritu. Die Welt ist schön, das Leben leider schwer. Manchmal. 

2 Kommentare:

  1. Mhm, klingt irgendwie ziemlich toll ^^. Und das, was du schreibst, erinnert mich spontan an Iñárritu. Geht dieser hier in eine ähnliche Richtung?

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    1. Jup, vielleicht sagte er mir gerade deswegen auch so zu (Iñárritu = Gott!). Eigentlich sehr ähnlich wie Iñárritu, nur einsamer, mit weniger Worten und weniger Handlung. Aber in der Thematik liegen beide auf einer Wellenlänge: Der Mensch, sein Schicksal und die alltägliche Schwierigkeit. Wenn du Iñárritu liebst, solltest du dich auch an Tsai rantrauen. :)

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