Freitag, 23. November 2012

Lynne Ramsays Verfilmung zu ›We Need to Talk About Kevin‹ und das Seelenleben einer gefallenen Mutter.


We Need to Talk About Kevin
Drama | Großbritannien, USA 2011 | FSK 16 | 110 Minuten | Regie: Lynne Ramsay

Die Wahrnehmung einer Mutter
Dass wir den Film nahezu durchgängig in Tilda Swintons Augen erleben, ist kein Zufall. Bereits durch die Sichtweise durch die von Tilda Swinton gespielte Mutter wird eins deutlich gemacht: Nicht der Sohn ist psychologisch ›krank‹, sondern die Mutter. Sie hat eine ›gestörte‹ Wahrnehmung, denn den Sohn als böse abzustempeln wäre an dieser Stelle zu einfach. Ähnlich wie in ›Take Shelter – Ein Sturm zieht auf‹ befindet sich der Hauptcharakter in einer Art (vorsichtig ausgedrückt) ›Psychose‹; das Leben ist nur noch das, was und wie wir es wahrnehmen.
›We Need to Talk About Kevin‹ ist das Portrait einer Mutter, die der Verantwortung der Mutterrolle ungewollt entgegengetreten ist und nun trotz aller Mühe an ihrer Pflicht zerbrochen ist. Wir begleiten die Protagonistin in Erinnerungen an ihren Sohn, den sie eigentlich nie vollen Herzens haben wollte – wir sehen ihre Blicke, als sie erstmals das Baby voller Antipathie in den Händen hält. Bereits hier, doch vermutlich noch früher, sollte eins sehr erkennbar werden: Als sie mit dickem Babybauch zur Gymnastik geht, sitzt sie unzufrieden und voller Abneigung ihrem Kind gegenüber unglücklich allein. Vielleicht ist dies die Schlüsselszene: Sie will dieses Kind nicht, ihre Abneigung findet bereits im Mutterleib statt. Und als sie wenig später das Kind zur Welt bringt und es betrübt im Krankenhausbett in den Armen hält, wie es eine Mutter ›normalerweise‹ erleichtert tut, wird uns klar: Die Abneigung hat sich bereits im Mutterleib in gewisser Weise ›übertragen‹. Das Kind kam mit der Abneigung zur Welt. Das Kinoposter zeigt bereits symbolisch ein Ultraschallbild eines Babys, das im Mutterleib liegt, Teufelshörner trägt und einen Teufelsschwanz besitzt. Und könnte ein Kind, das ohne Liebe im Mutterleib heranwächst und schließlich ausgetragen wird und sogar lieblos auf der Welt in Empfang genommen wird, nicht in etwa einem solchen ›Teufel‹, einem Menschen, der keine Liebe kennt und versteht, gleichen? Die Grundlagen für eine solche Entwicklung, die Kevin durchzumachen scheint, sind bereits gegeben, wenn wir den Film auch viel mehr als symbolische Auseinandersetzung eines Menschenlebens sehen sollten, denn für eine sachliche Lösung des Films strotzt er viel zu sehr vor Verborgenheit, Symbolik und geheimen, lakonischen Fragestellungen.
So irrational wie die Erzählstruktur ist, so sollten wir auch die Handlung beurteilen: Die Handlungen und das Verhalten ihres Sohnes sind nur noch Gedanken der Mutter, sie haben real in dieser Boshaftigkeit vermutlich nie stattgefunden. Dennoch nimmt sie es so wahr. Es fällt der Protagonistin mit der Zeit immer schwieriger, mit diesem Kind umzugehen. Sie assoziiert all das Negative mit ihrem Sohn, sodass sie nichts als Boshaftigkeit in ihm zu sehen scheint. Und auf Abneigung, die die Mutter ihrem Kind zeigt, weil sie nur seine Boshaftigkeit sieht, folgt Boshaftigkeit seinerseits. Quasi ein Teufelskreislauf einer Erziehung. Und aus diesem resultiert letztendlich die Eskalation der Handlung: Das Attentat.

Massenmord als Eskalation
Das Attentat ist ganz bewusst eher weniger wie ein klassischer Amoklauf geschildert, wie wir ihn aus Medien und Gesellschaft kennen. Wir sollten die Tat nicht als verarbeitende Aufarbeitung eines Amoklaufes sehen, in der wir nach Ansätzen zu Analysen und Ursachen suchen sollten, selbst wenn sie dazu noch so sehr einlädt. Denn darauf gibt es – wie ich es bereits feststellen musste – einfach keine Lösung, und dies liegt auch nicht in der Beabsichtigung des Films. Es ist – so böse es sich anhört – das Mittel zum Zweck, das als Bild dafür dient, die Eskalation der überforderten Mutter darzustellen: Sie ist an ihren Verantwortungen gebrochen.
Leute, die meinen, ›We Need to Talk About Kevin‹ ginge ganz revolutionär mit dem Thema Amoklauf um, liegen vielleicht genauso falsch wie die Leute, die meinen, der Film habe rein gar nichts auszusagen. Einer der besten Filme des Jahres. Und sicherlich einer, der einen nicht so schnell loslassen wird.



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen