Donnerstag, 10. Januar 2013

»Eden Lake« – Ein Horrofilm auf pädagogischer Realität und einer der Besten der letzten Jahre noch dazu.


Eden Lake
Horror | Großbritannien 2008 | FSK 18 | 88 Minuten | Regie: James Watkins

Michael Fassbender und Kelly Reilly wollen eigentlich nur ein ruhiges Wochenende im Grünen verbringen. Doch als sie mit der örtlichen Jugendclique aneinander geraten, scheinen die Pöbeleien immer mehr zu eskalieren.

Zur Zeit, in der Jugendliche ihre Mitschüler auf Schulhöfen vermöbeln, andere zusehen, filmen und klatschen, und in U-Bahn-Stationen alte Herren bewusstlos geschlagen und ausgeraubt werden, ist James Watkins intensive Genreglanzleistung »Eden Lake« nicht nur äußerst gegenwärtig, sondern birgt eine ganz beachtliche Substanz. Wenn ein Film – speziell ein Horrorfilm – sich so etwas zur Thematik macht, kann das nicht nur verdammt verhängnisvoll sein, sondern auch ungemein reizend und scharfsinnig.

Gruppendynamik, Jugendpsychologie und Pädagogik
Die Verurteilung, der Film ginge eindimensional an seine Thematik heran, weil er Jugendliche fernab der Realität durchweg als gefühlslose, mordshungrige Bestien zeige, ist dahingesagter Quatsch. »Eden Lake« begründet in keinem Moment, dass alle Teenager schlecht, böse und unerzogen sind, sondern zeigt auf einer viel interessanteren Ebene den Hintergrund: Der Gruppendruck. Wenn man als achtsamer Zuschauer in die Augen der »Täter« blickt, wird deutlich, dass die Kinder besonders in der immer weiter schreitenden Zuspitzung nicht gewissenlos handeln. Man beachte ihre zimperlichen Blicke und Ängste. Doch sie sind zu einer Clique zusammengewachsen, es entstand ein Zugehörigkeitsgefühl, aus dem an diesem Punkt keiner mehr zu fliehen wagt. Es ist Angelegenheit der ganzen Gruppe geworden. Und das sogar – wie es ganz real nun mal ist – nur oberflächlich: Einer – umgangssprachlich mit dem »Anführer« der Clique zu identifizieren – kommandiert, die anderen machen und ziehen mit. Weil sie mit drin stecken. Genau das, was in der Pädagogik doch bewiesen ist. Keiner der Kinder merkt nicht, was sie dort tun. Am Ende erfolgt doch sogar eine bittere Einsicht. Niemand will hier darstellen, wie boshaft, unzutraulich und feinselig alle unsere Jugendlichen sind, sondern doch viel mehr dahinter steckt. Die Angst davor, als der Loser in der Gruppe dazustehen; der Druck, mitzumachen und auch »cool« im Sinne der Werte der Gruppe zu sein. »Eden Lake« zeigt uns, wie schnell es gehen kann, dass die harmlose Provokation, die man heutzutage doch überall finden kann, aus der Bahn gerät. Das, worauf wir immer wieder in der realen Welt stoßen. Und natürlich beginnt die Erziehung, die erste Lebenswelt und Milieuzugehörigkeit, in unserem Elternhaus. Wir sehen das gebrochene Elternhaus an einer Stelle im Film. Wer dies als klischeehaft decken möchte, liegt falsch. Denn das ist pädagogische Tatsache.

Zuspitzung und Zirkulation
Umso erstaunlicher ist es, wie genau »Eden Lake« als ganz fantastischer Film über Ursache und Wirkung fungiert. Das, was hier passiert, ist nicht nur die anspruchsvolle Aufarbeitung der realen Jugendgewaltbereitschaft als auch die Inszenierung einer stürmischen Eskalation. Aus den instabilen Familienverhältnissen und der gescheiterten Erziehung folgen – leider des Öfteren – verhaltensauffällige Kinder; aus deren anfänglicher Provokation wird hier ein Teufelskreislauf aus Gewalt, Überleben und Sterben.
Wie eine Mutter am Ende des Films sagt: »Es sind doch nur Kinder.« Der Film ergießt uns hier mit gar keiner Meinung, er fragt vielmehr an. Wir werden zerrüttet und gefragt zurückgelassen, was dort eigentlich gerade über uns herfiel. Viel intensiver kann ein Film seiner Art eigentlich nicht sein. 



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