Drama | USA 1997 | FSK 12 | 194 Minuten | Regie: James Cameron
„Für alle anderen war es ein Traumschiff. Für
mich war es ein Sklavenschiff, das mich in Ketten zurück nach Amerika bringen
sollte.“
Das Maß, in dem James Cameron das faszinierendste Tiefseegrab des
Atlantikbodens wiederbelebt, ist überragend. Dass ‚Titanic‘ eine enorm
gefühlsbetonte Romanze bergt, sollte jedem vertraut sein. Aber was macht diese
so fantastisch? Es ist das, was die Romanze so kompliziert macht: Der
unterschiedliche Stand in der Gesellschaft, die Herkunft und der gegensätzliche
Lebensstandard von Rose und Jack. Ein Kontrast von– im wahrsten Sinne des
Wortes – verbotenem Ausmaß. Das, was Lessing und Schiller mit ihren Werken ‚Emilia
Galotti‘ oder ‚Kabale und Liebe‘ literarisch zum Ausdruck bringen möchten, wird
in ‚Titanic‘ filmisch umgesetzt. Wenn der künstlerische Weltensegler Jack
zeichnend zu Rose auf das obere Deck hinaufblickt und der Kumpane scherzend „Ach, vergiss es, an die kommst du nicht
ran; vorher fliegen dir kleine Engelchen aus dem Hintern“ sagt, dann
kitzelt es dem Zuschauer erstmals arg im Herzen und das Thema des Films wird
zum ersten Mal angeschnitten: Der arme Pokerspieler verliebt sich in die reiche
Geschäftstochter. Und das auf den ersten Blick.
Was ‚Titanic‘ an dieser Stelle gänzlich gelingt, ist sein Aufbau
von Sympathien: Auf der einen Seite steht Rose, getragen vom Pessimismus und
der Abscheu gegen ihre arrogante Familie, den Mann, den sie heiraten soll, und
ihrem Stand in der Gesellschaft – wie sie später selbst erzählt: „Ich hasse
mein Leben, die Menschen in meinem Leben, die Machtlosigkeit; ich schreie, doch
niemand sieht zu mir hoch“. Rose träumt von einem Leben wie Jack es führt, vom
Reiten in der Brandung – mit einem Bein auf jeder Seite wohl bemerkt – und dem Achterbahnfahren,
womit das damalige Frauenbild, die Hilflosigkeit in ihrem Stand, aus der sie
nicht entfliehen kann, gleichzeitig geschildert wird. Auf der anderen Seite
steht der vermögenslose Künstler Jack, der Abenteurer. Lebenserfahren, in
gewisser Art sogar weise, ist er der eigentliche „Held“ des Films: Er rettet
Rose das Leben ihres eher unbesonnenen Suizidversuchs – ob sie nun gesprungen
wäre, darf im Raum stehen gelassen werden –, schafft es, ihr ein gewisses
Lebensgefühl zu vermitteln, sie glücklich zu machen und sie vor allem zum
„Losreißen“ zu ermutigen – „Die halten
Sie gefangen, Rose, und wenn Sie da nicht ausbrechen, werden Sie sterben.
Vielleicht nicht gleich, weil Sie stark sind. Aber früher oder später wird das
Feuer, das ich so an Ihnen liebe, Rose, irgendwann erlöschen.“
Nach der anfänglichen, vielleicht sogar provokanten Versuchung von
Rose ausgehend, mit einem ihr so strengstens verbotenen Drittklässler Umgang zu
haben, wird aus Rose und Jack mehr als nur eine Verlockung. An dieser Stelle
treffen die zwei Planeten aufeinander. Gar nicht unbedingt von den beiden
Protagonisten ausgegangen – ganz im Gegenteil findet Rose Jacks unvermögenden
Hintergrund ganz faszinierend –, sondern von Roses Familie aus: Explizit wird
die Hinterlistigkeit und Arroganz der damaligen Oberschicht dargestellt – „Meine Mutter sah ihn [Jack] an wie ein
Insekt, das schnellstens zerquetscht werden musste“ – und das obwohl die
Familie, wie sich später herausstellt, selbst pleite ist und vor einem
gigantischen Schuldenberg steht.
Doch was macht ‚Titanic‘ so – allgemein berühmt– traurig? Es ist
Tatsache, dass Rose und Jack sich gerade auf dem Höhepunkt ihrer Verbindung
befinden, als die Katastrophe beginnt. Rose hat sich von Jack zeichnen lassen,
ihre „Kleidung niedergelegt“ und sich ihm hüllenlos hingegeben. Doch als es der
Chefkonstrukteur Mr. Andrews selbst ausspricht – „Die Titanic wird untergehen“ – ist das Schicksal ab diesem
Zeitpunkt eigentlich schon von vorne rein festgelegt. Denn wie Rose schon
vorher bemerkt hat, gibt es „nicht mal
ansatzweise so viele Schiffe für alle Passagiere“. Nun gelten die wenig
tugendreichen, aber bedauerlich wahren Worte von Roses einstig zukünftigen
Ehemann: „Die Hälfte der Menschen wird
ertrinken. Aber nicht die bessere Hälfte.“
An dieser Stelle trifft auch die Titanic selbst auf ihr Schicksal:
Das „unsinkbare Schiff“, der Luxustitan hat seine Pflicht verfehlt. Wieso
musste das passieren?, fragen sich viele. Doch die Antwort findet sich in des
Menschen Seele selbst: Der Kapitän erhält den Zuspruch, wie wunderbar es nicht
wäre, wenn die Titanic frühzeitig im New Yorker Hafen eintreffen würde, es wäre
sensationell. Hierin liegt der Kern des Versagens: Viel zu schnell rast der
Dampfer durch den kalten Atlantik, Eisbergwarnungen zum Trotz, denn Ruhm und
Bewunderung ist ja alles. Der Mensch und seine Überschätzung, sicherlich sogar
der fehlende Respekt vor seiner eigenen Natur, der Gewalt und seiner Kräfte.
Die Titanic mag mit Sicherheit das prunkvollste, wunderschönste Schiff gewesen
sein, doch immun gegen unsere Natur mag vielleicht nichts sein. Allem Gold, allem
Prunk und allem Luxus an Bord, die Titanic bleibt eine Masse aus Stahl, ein
„hohler Götze unserer Zeit“, wie Franz Werfel es in Worte zu fassen vermag.
Das Ende des Films im strömenden Regen vor der Freiheitsstatue
lässt den Zuschauer noch einmal warm ums Herz werden, wenn Rose auf die Frage
„Wie ist ihr Name?“ mit „Rose; Rose Dawson“, Jacks Nachnamen, antwortet. Das
Werk endet schließlich nach der tief spürbaren Grundstimmung „Ich bin Zuhause,
ich habe mich losgerissen, aber glücklich, das bin ich nicht“, hinterlässt jedoch
die wunderbare Gegenantwort auf Roses einstige Äußerung vom Anfang: In Ketten
wurde sie nicht zurückgebracht.
‚Titanic‘ war damals für mich der erste Film mit
Liebe, Sex, Action und Katastrophe und ist mittlerweile der letzte seiner Art,
bei dem man sich für feuchte Augen nicht zu entschuldigen braucht.
„Das Herz einer alten Frau ist ein tiefer
Ozean voller Geheimnisse.“
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