Samstag, 1. September 2012

Martin Scorseses ‚Taxi Driver‘: Ein wichtiger, doch zu häufig völlig missverstandener Film.

Taxi Driver
Drama | USA 1976 | FSK 16 | 113 Minuten | Regie: Martin Scorsese

„10. Mai. Endlich hat es geregnet. Dreck und Abfälle wurden von den Bürgersteigen gespült.“

Mir lief in den letzten Jahren des Öfteren ein unangenehmer Schauer über den Rücken, wenn ich Kommentare wie „Ich kann mich mit Travis identifizieren“ lesen musste. Sicherlich sind wir alle mal angewidert von lasterhaften Menschen mit dreckigen Berufen oder von seltsamen Gestalten, die so leben, wie wir es uns im Traum nicht vorstellen könnten. Dennoch ist eine Identifikation mit Travis mehr als bedenklich, denn er selbst ist das Produkt seines Hasses. Er selbst ist längst zum Dreck geworden. Wenige Jahre zuvor mordete er im Krieg, er „reinigte“ das Schlachtfeld vom Gegner, dem von der Regierung eingeredeten Bösen, Dreckigen und Schlechten. Zurück im für ihn nun sinnlos erscheinenden New York macht er sich genau das zur Beschäftigung und gleichermaßen zum Problem: Er möchte seine Stadt, welche in seinen Augen vielleicht als sein Vaterland erscheint, vor dem Feind und dem „Abnormalen“ verteidigen, quasi „für sein Vaterland kämpfen“; genau, wie er es die letzten Jahre tat. Was hier mit Travis passiert, ist ein ganz normaler Prozess des Menschen: Er hat gelernt, er wiederholt das Gelernte und übernimmt das Verhalten. Oder noch schlimmer: Er ist davon traumatisiert. Er beginnt, das „Unreine“, „Andersartige“ zu hassen. Scorsese zeigt eine abgründige Gesellschaft anhand eines Charakters, der mitten drin in der abgründigen Gesellschaft dazugehört. Ein Charakter, der genauso abgründig ist, wie das, was er verabscheut. Scorsese zeigt die Widersprüchlichkeit eines Mannes, der alles hasst, sich dabei aber die ganze Zeit selbst in der von ihm so verhassten Sphäre aufhält. Er hasst die Perversen, aber geht ins Pornokino, in welchem es nur so von Perversen wimmelt. Er hasst die Menschen des Nachtlebens, aber möchte die Berufung, sie durch das Nachtleben zu fahren. Er erscheint zweifelhaft und widersprüchlich und dabei ist dies genau der Punkt, den der Film widerspiegeln möchte: Die Welt ist zweifelhaft und widersprüchlich, der Mensch ist abgründig und unfair. 
In einer Szene zeigt der Film Travis‘ Kollegen über  Prostituierte und Homosexuelle herziehen. Ist dies als ernstgemeinte „Mahnung“ vor Menschen zu deuten, die unsere Welt etwas „abnormaler“ macht? Nein, ich denke nicht. Wir sollten Scorseses 'Taxi Driver' mehr als pessimistisches Zeitdokument sehen als eine Entlarvung nach dem Leitmotiv „Schaut, was für ekelhafte Leute es gibt!“. Ist es nicht verblüffend, dass der Film genau nach der Zeit entstand, als all die Hippies und Blumenkinder für den Frieden auf die Straße gingen? Vielleicht lässt das die Botschaft etwas deutlicher erscheinen: Die Welt lebt noch nicht in Frieden, auch nicht, wenn der Krieg längst vorbei ist. Ganz im Gegenteil: Der Krieg hängt sich wie ein toter, aber noch immer herrschender Schleier über der Menschheit. 
Niemand sollte sich mit dem Film identifizieren, denn er selbst ist das, was er kritisiert: Der brodelnden Kessel einer Spirale aus Hass und Gefühlskälte. Scorsese zeigt nur, aber er meint nicht. 



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