Samstag, 13. Oktober 2012

Tim Burton. Das Genie, der Künstler, seine Gedankentiefe und seine Relevanz.

„Wenn ich mich an einem Horror-Film versuchen sollte, würde ich ein realistisches Porträt meiner Heimat Burbank drehen – das wäre sehr schockierend.“ 


Dass Tim Burtons Filme phantastische Schauermärchen, düstere Erzählungen eines Genies kreiert und er uns mit seinen Werken in andere Welten verschlingt, seine atemberaubende Ästhetik und Detailverliebtheit bis ans Unglaubliche grenzt, ist eigentlich kaum zu übersehen. Doch in Tim Burtons Filmen wird etwas noch viel beachtlicheres erkennbar: Es ist sein Herz für Außenseiter. Seine Helden sind Sonderlinge oder Außenstehende der Gesellschaft, was Burton in seinen Filmen einfühlsam und mitmenschlich beurteilt. Er selbst sagte in einem Interview einmal „Ich habe mich immer als Außenseiter gefühlt. Und egal, wie erfolgreich du wirst, was für eine liebevolle Familie und gute Freunde du später hast. Dieses Gefühl bleibt, es vergeht nicht. […] Wo ich aufgewachsen bin, wurden alle Menschen kategorisiert. Filme zu machen, war meine Art der Gegenwehr.“

Und diese autobiografische Ebene in seinen Filmen ist beeindruckend: Sei es in seinem Kurzfilm ‚Vincent‘ über den etwas andersartigen Jungen („While other kids read books like Go, Jane, Go!, Vincent’s favourite author is Edgar Allen Poe.“) oder ganz besonders in seinem Batman-Meisterwerk ‚Batmans Rückkehr‘: Wir sehen die langsam verzweifelnde, völlig vereinsamte Selina Kyle  Michelle Pfeiffer in der Rolle ihres Lebens  die später zur Art „Heldin“ Catwoman wird; den Pinguinmann, der ungewünscht von seinen Eltern in den Fluss geworfen wurde und als Oswald Cobblepot in Gotham City langsam „zu gewinnen“ scheint; oder sei es Batman selbst, der als Bruce Wayne ein Niemand ist, doch als Batman zum Helden wird. Besonders mit seinen Figuren Batman, Catwoman und Oswald Cobblepot in ‚Batmans Rückkehr‘ entlarvt Burton die Ungerechtigkeit der Gesellschaft, die den „einfachen und bescheidenen“ Menschen nicht zu lieben weiß; der Mensch muss erst zum Helden fungieren, um gesehen zu werden. 
Auch Charaktere wie der Riese in ‚Big Fish‘ bildet ein Bild des Außenseiterseins und der Furcht vor dem Anderssein in der Gesellschaft; genau wie Edward D. Wood Jr. aus ‚Ed Wood‘, der nicht weniger als ein liebenswerter und lebensbejahender junger Mann ist, doch von der Gesellschaft nur oberflächlich durch seine „miesen“ Filme verurteilt wird. Die von der Öffentlichkeit bekanntlich belächelten Homosexuellen, Transsexuellen und nicht zuletzt die Tatsache, dass der sympathische Protagonist selbst gerne in Frauenkleider schlüpft, dadurch nicht schwul ist, sondern aus dem einfachen Grund, weil er Frauen liebt, zeigt Tim Burton in ‚Ed Wood‘ wie die normalsten Menschen der Welt. Oder Alice in ‚Alice im Wunderland‘, die aus ihrer Gesellschaft, in der sie den langweiligen baldigen Lord heiraten soll, entflieht, wird plötzlich zur Heldin ihrer Fantasiewelt. Gleiches Spiel in Burtons neustem Film ‚Dark Shadows‘: Johnny Depp gibt in seinem Hauptcharakter doch nichts anderes als einen nichts verstehenden Mann, der sich in der heutigen Welt nicht zurecht findet; quasi ein Außenstehender, der die Erde nicht mehr versteht. Und dennoch steht er im kompletten Film doch als das Highlight, als der geheime Star, dar. 

In seinem sensiblen Meisterwerk ‚Edward mit den Scherenhänden‘ wird dieses Bild besonders erkennbar: Der Sonderling, schwarz und düster gekleidet und in seiner Seele vereinsamt und verlassen, wohnt am Rande der quietschbunten Stadt – wie ausgestoßen von den „Normalen“ schwebt sein schloss abseits der Stadt in der hintersten und dunkelsten Ecke. Als er ins Städtchen kommt, entlarvt Burton immer mehr die fehlende Toleranz und die Vorurteile der Menschen. Und ein ganz anderes wiederkehrendes Thema Burtons fließt in diesen Film hinein: Die Vater-Sohn-Beziehung; hier zwischen Edward und seinem neuen Vater; später ebenfalls vorhanden in ‚Big Fish‘ im problematischen Verhältnis zwischen William und seinem Vater; oder auch in ‚Ed Wood‘, in welchem sich Bela Lugosi langsam zur Vaterfigur von Edward entwickelt.

Mit seinen Sonderlingen und Außenseiterfiguren, die Burton immer wieder wie Helden, Sympathieträger oder wie die „Stars des Films“ behandelt, teilt er uns ein wunderbares Menschenbild mit, indem er von seinem Herzen aus, da er doch selbst einer von ihnen sein könne, dem Zuschauer ein Herz für sie entwickeln lässt. „Außenseiter“ ist für Tim Burton keine Abwertung, sondern eine Herzensangelegenheit. Und die lässt er dem Zuschauer spüren. Burton zeichnet nicht nur ein warmherziges Appell an Sonderlinge dieser Welt, sondern darüber hinaus eine verborgene Gesellschaftskritik über die Intoleranz der Menschheit, der Unduldsamkeit vor dem Anderssein. Burton sagt uns: Fragwürdig, das seid ihr. Die Helden, das Besondere, die „Stars“ dieser Welt, das sind wir. 

Ein weiteres Motiv Burtons wird besonders in seinen Filmen ‚Corpse Bride‘ und ‚Beetlejuice‘ erkennbar: Eine seltsame Welt oder bizarre Barriere zwischen Leben und Tod, oder: unsere Welt und das Reich der Toten, irgendwo im Nirgendwo. Auf die Feststellung, dass Burton den Tod charmant umarmt, antwortete er: „Das hat natürlich damit zu tun, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der Tod immer nur als düsteres Element betrachtet wird. Ich bin in Los Angeles aufgewachsen, da gibt es viele Latinos, die den Day of Death – das ist irgendwann um Halloween herum – feiern, mit tanzenden Skeletten. Da wird, obwohl es um den Tod geht, das Leben gefeiert. Dieses Herangehen wollte ich mir aneignen. Natürlich ist es traurig, wenn jemand stirbt, der einem nahe stand – aber ich wollte positiv damit umgehen.“ 

Aber auch in ‚Nightmare Before Christmas‘ zeichnet er mit Halloween Town eine Welt der „Verstorbenen“ als skurrile Welt aus untoten Gestalten, Skelettmenschen, wie der heimliche Held Jack Skellington, und Wesen aus der Horrorwelt. Mit dem enthauptete Ritter aus ‚Sleepy Hollow‘ offenbart er ein verworrenes Bild zwischen lebendig und tot, oder in Burtons Musicalmeisterwerk ‚Sweeney Todd – Der teuflische Barbier aus der Fleet Street‘ bearbeitet er den Tod anhand von Rache: der Protagonist mordet, um so seine Seele vor seinem Zorn zu befreien. 

„Es gibt ja Kritiker, die mir vorwerfen, ich würde „nur“ Fantasy-Filme machen. Aber warum soll unsere Fantasie unwichtiger sein als die sogenannte Realität? In ‚Alice im Wunderland‘ zum Beispiel wird die Fantasie-Welt auf einmal Realität.“ 

Tim Burton bedeutet für mich eine andere Welt, die er zur Realität entfachtet. Denn ob es das viktorianische London ist, der amerikanische Kitschvorort, seine verschneite Version von Gotham City oder die Fantasiewelt in ‚Corpse Bride‘. Egal, was er tut, er schafft es wie kein zweiter, mich aus dieser Welt zu holen, so kreativ zu unterhalten und dabei auch noch wunderbare Botschaften zu vermitteln, die deutlich mehr als nur Fantasy bedeuten. Sie sind das Leben auf seine ganz eigene, bezaubernde Art und Weise. Und deswegen ist Tim Burton so wichtig. Für den Film, für die Kunst und nicht zuletzt für uns. 


2 Kommentare:

  1. Sehr interessanter Beitrag. Burton ist wohl einer der Regisseure, die vor allem für ihre... nennen wir es einfach mal "Andersartigkeit" bekannt sind - und einer der wenigen, bei denen dieses Prinzip tatsächlich auch gut zu funktionieren scheint.

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    1. Jup, sein Anderssein kann man mögen oder auch überhaupt nicht. Ich liebe es, wobei es mir in Alice im Wunderland auch etwas too much wurde.

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