Sonntag, 30. Dezember 2012

Danny Boyle und warum ich in ihn verliebt bin.


Warum bin ich in Danny Boyle verliebt?

Der Alleskönner
Ganz offensichtlich ist Danny Boyle ein Möchtegern-Alleskönner, der alles kann. Wie gekonnt er sich durchs Genrekino boxt, er Ideen und Kreativität in seinen Filme umsetzt und atmosphärisch, optisch wie emotional anspricht, ist außerordentlich. Doch wir sollten Boyle nicht aufgrund seines mehr oder weniger mainstreamlastigen Genrekinos auf seinen Unterhaltungswert reduzieren und sein gekonntes Handwerk als Blenderei brandmarken. Denn hinter all seiner filmischen Schönheit verbirgt sich in Boyles Filmen besonders eins: Fantastische Geschichten über den Menschen mit Anstoß, Sinn und Reflexion der Gesellschaft.

»Always changing genres, making very different films is a good idea. It's a way of making yourself feel vulnerable again, getting back to that innocence.«

Der Aufschrei nach Frieden
Allen Filmwerken voran gilt »28 Days Later« in meinen Augen als Boyles absolutes Essenzwerk. In einer Szene sagt ein Soldat über die Wutvirus-Epidemie: »Was ich während der Epidemie sah, war: Menschen töten Menschen. Was ich vor der Epidemie sah, war: Menschen töten Menschen.« Hier wird Boyles Aussage ganz besonders deutlich: Mit den mordenden Infizierten hält Boyle uns einen Spiegel unserer selbst vor die Augen; ob Wutvirus oder nicht, der Mensch tötet – und wo töten wir mehr als im Krieg? Boyles »28 Days Later« besitzt eine Antigewaltbotschaft wie sie vielleicht nie vermittelt wurde. In den ruhigen, optimistischen Szenen des Films wird die Schönheit der Welt, die Natur verlassen von dem Menschen und die Hoffnung, die allein von Nächstenliebe erzeugt werden kann, in wunderschöne, herzerwärmend humane Momente gefasst. Hiermit zeigt Boyle uns, wie schön die Welt sein kann – ein beeindruckender Gegensatz zu dem, was hier im Rest des Films passiert. Die Welt ist schön, doch leider machen wir sie hässlich.

... und der Aufschrei nach Freiheit
Zurückbetrachtet auf sein Gesamtwerk lässt sich ein besonderer Standpunkt erkennen: Danny Boyle liebt das Leben. Doch es gibt so viel Unsinn und Unfug, den der Mensch treibt, der uns auseinander bringt, unser Leben erschwert und den Frieden und die Menschlichkeit, die in der Welt regieren könnten, zerstört. In »The Beach« erzählt uns der Protagonist Richard, gespielt von Leonardo Di Caprio, am Anfang des Films, wie sehr er sich nach Abenteuern und dem aufregenden Leben sehnt – den kompletten Film lang über hören wir Richards Monologe über seine lebens- und abenteuerbejahende Lebensphilosophie und Empfinden. Boyle drückt einen und vielleicht seinen eigenen Lebenstraum in diesem Film aus. In unserer heutigen Gesellschaft wird die Weltanschauung für Freiheit und das Träumeleben immer seltener, und überhaupt bezeichnen wir Leute wie Richard doch viel zu häufig als »anormal« oder »verrückt«. Alle sehnen sich nach Freiheit, doch wer lebt es noch? Der Trend führt immer mehr zum Karrieremachen. In »The Beach« wird später dieser Traum von Freiheit für den Protagonisten wahr – ein paradiesisches Leben auf einer wunderschönen Insel mit liebenswürdigen Menschen – das Abenteuer hat sein Ziel gefunden. Als Richard für einen Tag von der traumhaften Insel und der entstandenen Kommune zurück aufs Land fährt, erkennt er, wie sehr ihn diese wahre Welt anekelt: besoffene, feierwütige und stinkende Menschen. Die Schönheit am Leben wird auf ganz besondere Art repräsentiert: Als friedsame Kommune, in der sich die Menschen akzeptieren, jeder jeden kennt, man einander versteht und auf ungezwungene Art die Freiheit auslebt. Doch beeindruckend ist doch die Wendung, die uns zeigt, dass heute selbst diese Kommune nicht mehr existieren kann, weil es immer einen »Boss« oder »Anführer« geben muss, der sich aufspielt, quasi die Regierung sein muss – wunderbar gespielt von Tilda Swinton.

Das Leben ist Schicksal, also lebe es.
»Slumdog Millionär« wird kritisiert, weil er gesellschaftskritisch sein will und gleichermaßen liebevoll und berührend. Doch wieso sollte sich ein kritischer Film nur auf das Schlechte im Leben reduzieren? Wieso sollte bewusst umgangen werden, dass kleine Jungs sich in Slums verlieben? Wieso sollten auch Jungs aus Slums nicht wissen, wie sie spielen und Spaß haben können? Und wieso sollte sich diese Liebe nicht irgendwann auch zusammenkommen? Gerade durch die Liebe in dem Film werden wir nah und intim an die Figuren herangeführt, dass uns die Wirksamkeit der furchtbaren Schicksale und Gegebenheiten der Figuren doch noch näher treffen. Auch in »Slumdog Millionär« weiß Boyle eins zu sagen: Das Leben kann schön sein. Doch es ist auch extrem verhängnisvoll. Und unser Dasein ist seit unserem existenziellen Ursprung schicksalhaft – wir werden in ein Umfeld hineingeboren und haben alle mit Schicksalen, Problemen zu kämpfen, aber begegnen auch eigenen Hoffnungen und Vergnügungen, die uns am Leben erhalten. Jeder in seiner Lebenswelt.

Ebenso in seinen Frühwerken »Trainspotting « oder »Kleine Morde unter Freunden« führt er uns das verhängnisvolle Leben und die schicksalhafte Begebenheit vor, die ebenso tragisch wie selbstparodierend sind. Alfred Lichtenstein sagte einmal: »Wenn die Trauer in Verzweiflung ausartet, soll man grotesk werden.« Ist das nicht genau das, was in beiden Filmen – besonders in »Trainspotting« – passiert? Die im Grunde genommen völlig verzweifelten Drogenjunkies hocken sinnlos und stumpfsinnig vor sich rum. Danny Boyle verachtet sie nicht. Er wird grotesk und stellt sich gegen die konventionellen Drogendramen, die uns – natürlich völlig zu Recht – weißmachen wollen, wie schlecht Drogen sind. Er aber führt uns in eine völlig abgedrehte, dreckige Welt, sogar in ein Kaleidoskop eines Junkies, aus der besonders die Toilettenszene oder das wandelnde Baby an der Decke hervorgehen. Natürlich hat ein Junkie in seinem Konsum »Spaß« und verfällt in Ekstase. Doch wir alle wissen, dass er mehr oder weniger eh schon alles verloren hat – oder wie der Hauptdarsteller, fantastisch von Ewan McGregor gespielt, es uns sagt: »Warum sollte ich das [das »Ja«-sagen zur Karriere, zur Familie, zum Konsum und zum konventionellen Leben] machen?« Boyle zeigt uns, wenn auch völlig überspitzt: Mach doch was du willst. Bevor du am Leben verzweifelst werde grotesk. Denn die Freiheit haben wir, auch wenn die Gesellschaft es zu selten wahrhaben will und noch schlimmer: es überhaupt duldet.

Der Lebenstrieb
Mit »Sunshine« wird Boyle sensibler und melancholischer: Er zeigt uns auf beeindruckende Weise, was das Leben ohne Sonne, ohne Licht, Hoffnung und ohne (Boyles) Optimismus wäre. Die Crew der Icarus spiegelt genau das wider: Suizid, Misstrauen und Melancholie. »Sunshine« ist Boyles pessimistisches Werk, in dem ein häufiges seiner Motive besonders deutlich wird: der Überlebens- und Todestrieb des Menschen; darüber, wie nahe Hoffnung und Hoffnungslosigkeit beieinanderliegen. Er sagte einmal: »The sun is the most important thing in everybody's life, whether you're a plant, an animal or a fish, and we take it for granted.« Auch in »28 Days Later« ist in einer Szene die Rede davon, dass das Töten der Infizierten nicht mehr moralisch unvertretbar sei; es sei nur der Überlebenstrieb des Menschen, der das Morden unverzichtbar macht. Gleiches, wenn auch deutlich zuversichtlicher, verarbeitet er in »127 Hours«, die Geschichte eines lebensbejahenden Sportlers, der plötzlich vom Schicksal selbst gefangen genommen wird. Der Überlebenstrieb wird hier unübersehbar. 


Weil die Welt schön sein kann
Wir können Danny Boyles Standpunkt und Position in seinen Filmen nur erahnen, da er leider nur selten in seinen Drehbüchern selbst mitarbeitet. Doch in der Auswahl seiner Filme, ihren Aussagen und Identifikationsfiguren wird deutlich, wie hoffnungsvoll Boyle mit der Welt umgeht – selbst wenn alles verloren scheint, selbst wenn die Menschheit sich in Bestien verwandelt hat und selbst wenn man in der furchtbarsten Ecke der Erde aufgewachsen ist. Boyle sagte mal: »I like films that have a kind of vivacity about them.« Er liebt die Lebhaftigkeit, er liebt das Leben als Abenteuer und Spiel. Wie es heute leider selten geworden ist.

Warum bin ich in Danny Boyle verliebt? Weil er uns das Leben in seinen Filmen ohne zwanghafte Stimmungsbilder zeigt, wie es eben ist: optimistisch und pessimistisch. Wieso schrieb Shakespeare sowohl Komödien als auch Tragödien? Weil das Leben eine Komödie und eine Tragödie zugleich ist. Oder weil es »D: Schicksal« ist. 

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