Freitag, 28. September 2012

Das Phänomen der „Katze“ und ihr missverstandener Habitus.


Daniela Katzenberger. Was für eine missverstandene junge Frau. Sie spielt mit dem Klischee des dummen Blondchens, schaut wie eines aus, dennoch ist sie weitaus mehr als die Kultblondine mit aufgepumpten Hupen, viel zu hohen, tätowierten Augenbrauen und einem Übermaß an Schminke im Gesicht. 

„Sei schlau, stell dich dumm.“ 

Was „die Katze“ ganz unvergleichlich macht, ist der ganz übliche Mensch in ihr, den sie uns mit Selbstironie über ihr Aussehen und Auftreten, mit ehrlichen Darstellungen und Erzählungen aus ihrem Leben, ihrer Angst vor Menschen, ihrem „MoF [Menschen ohne Freunde]-Dasein“ und der Leichtigkeit einer Lebensart – wohlbemerkt als anständig verdienende Prominente – wie selbstverständlich offenbart und sich nebenher als wunderbar sympathisch und unterhaltsam beweist. Und was kann es neben gruselig großtuerischen Selbstdarstellungen von Protzern zwischen Selbstverliebtheit und Selbstinszenierung in vergleichbaren Dokusoaps Angenehmeres geben?

Auf die These, Daniela Katzenberger sei dumm und stellt sich dumm, lässt es sich zweifellos einwenden, was man an Daniela Katzenberger denn als „dumm“ definieren würde, beziehungsweise wie man „dumm“ überhaupt auffasst und erkennt. Soll es die Tatsache sein, dass sie „nicht so gut“ Autofahren kann und darüber lacht? Oder sie sich tapsig in Bezug zu Herausforderungen anstellt? Wären wir dann nicht alle mehr oder weniger „dumm“? Ich würde Daniela Katzenbergers Habitus vielmehr als äußerst smart und human bezeichnen, denn wenn sich der Mensch noch über seine eigenen Schwächen und Macken vergnügen kann und sich in der Hinsicht auch mal nicht allzu ernst nimmt, dann gewinnt die Welt an Lässigkeit, von der sie ein gutes Stück gebrauchen kann.

Montag, 24. September 2012

Sexsucht in Steve McQueens zweitem Meisterwerk ‚Shame‘.

Shame
Drama | Vereinigtes Königreich 2011 | FSK 16 | 100 Minuten | Regie: Steve McQueen

Das zweite unbeschreibliche Meisterwerk von Regiehoffnung Steve McQueen, welcher das Publikum stumm zurücklässt. Insbesondere die zweite Hälfte mitsamt verlorenem Ende, welches uns in eindrucksvoller Zerrissenheit nach „Es endet wie es begann, doch womöglich ganz und gar nicht“ zurücklässt. Wer so etwas Ehrliches nicht versteht, dem sei nicht geholfen. 

„Wir sind keine schlechten Menschen. Wir kommen nur von einem schlechten Ort.“







Sonntag, 23. September 2012

‚O.C., California‘: Der Blick hinter den Prunk, die Entlarvung einer Gesellschaft und ihre Relevanz.


Mein Beitrag zu moviepilots Aktion Lieblingsserie“.

Als ich deprimiert vom Abschlussball nach Hause kam, sah ich O.C. Als ich gequält von der Weisheitszahn-OP kam, sah ich OC. Und in der schlaflosen Nacht vor meinem ersten Schultag auf dem Fachgymnasium sah ich OC. Nur, um in eine andere Welt zu flüchten. Um mich nach den verschiedensten Lebenssituationen abzuspannen oder mich von fundamentalen Brocken eines Lars von Triers, Gaspar Noés oder Alejandro González Iñárritus zu erholen. Um in die Welt zwischen Erstreben, Intrigen, dem (nicht ganz so) normalen Erwachsenwerden und verzwickten Freundschaften, Verhältnissen oder Beziehungen einzutauchen. Eine Welt, in der die Sonne immer scheint, doch nicht überall.
Ich las einmal „‚O.C., California‘ ist für mich das amerikanische GZSZ, nur eben am Strand.“ Doch das ist es bei langem definitiv nicht. In ‚O.C., California‘ geht es um weit mehr als um die alltägliche Berliner Lebensart, Fremdgehereien und seltsame Ménages-à-trois. In ‚O.C., California‘ geht es ums Leben im vielerlei erträumten Paradies und dass es im amerikanischen Traumland, im wunderschönen Kalifornien, genauso wenig einfach ist wie im kalten Deutschland, im verschuldeten griechischen Dörfchen oder im Land der Arbeitstiere Japan. In ‚O.C., California‘ dreht sich das Leben nämlich viel weniger um den vermeintlichen Genuss der vielen Sonnentage, der palmenübersäten Strände oder der amerikanischen Freiheit, was uns für Momente vielleicht wie ein Traum vorkäme, sondern vielmehr um Betrüge, Abgründe, Hinterlistigkeiten und der manchmal ebenso normalen wie verzweifelnden Lebensweise in einer Gesellschaft im Schein des finanziellen Überflusses. Wie eine Lisbeth Salander es mal ausdruckslos und äußerst ehrlich über die Lippen brachte: „Jeder hat Geheimnisse.“ Auch die Reichen, die Schönen und die, von denen wir dachten, dass sie eigentlich glücklich sein sollten. Denn sie haben alles.
Doch genau das ist der Kern der Serie: All das Haben, Besitzen und Verfügen macht nicht glücklich. Kein Geld der Welt, nicht das teuerste Auto in der Garage und auch kein Poolhaus im monströs angelegten Garten. Sondern einzig die Menschen, mit denen man das Leben teilt, was in Anbetracht des gesamten Verlaufs der Serie immer wieder zur Geltung kommt.
An und für sich ist genau diese Finesse der große Pluspunkt des Geschehens: Die Sympathie einer Serie, durch die man vollkommen mit seinen Elementen und seinem Inhalt verschmilzt; das „in eine andere Welt flüchten“ wird erschaffen; und vielleicht nicht unbedingt in eine bessere, aber in eine Welt, in der es vertraute Menschen gibt, die mich mit mehr oder weniger offenen Armen empfangen. Abschalten. Eigene Probleme vergessen. Eintauchen. Die Probleme anderer fühlen. Genau das schafft ‚O.C., Califorinia‘ für mich.
Dabei ist Seth Cohen mein Held auf Ewigkeit. Nicht nur, dass uns viele Parallelen verbinden, sondern weil er einfach eine so authentische Figur ist, in die ich mich persönlich wie in keine andere Figur aus der Film- und Fernsehwelt einfühlen kann. Seth – oder herzlich einfach „Cohen“ genannt–  ist der Außenseiter, versteht vieles dieser Welt nicht, und ein mancher ihn dadurch nur zu gut. Am liebsten segelt er allein ins weite Meer hinaus, dort kann ihm keiner was. Er liebt Comics, zeichnet seine große Liebe Summer gerne als Actionheldin „Miss Satansbraten“, hat Humor, Sensibilität und liebt Sarkasmus.
Oder die faszinierende Femme fatale der Serie, Julie Cooper, die versteckte Filmbösewichtin, in der die Oberflächlichkeit der Society ihrer selbst besonders aufblühend zu erkennen ist: Sie, aus armen, schwierigen Verhältnissen, ist die Figur schlechtweg, die partout die Oberflächlichkeit und Geistlosigkeit einer – keinesfalls überall und in diesem Bild pauschalisiert bestehenden, aber existierenden – Gesellschaft widerspiegelt. Jedoch wird praktisch nie plakativ gezeigt „Wer ist böse und wer nicht?“, sondern „Jeder ist in irgendeiner Weise ‚böse‘, jeder macht Fehler, jeder handelt mal falsch, viele Menschen sind ‚schlecht‘, doch in ebenso vielen schlägt auch ein Herz, in ebenso vielen ist auch ein weicher Kern und in ebenso vielen steckt auch ein Wert, dass ihnen verziehen wird“, was den Horizont der Serie in Sachen Glaubwürdigkeit und Einfühlvermögen um einiges erweitert.
Filme sind toll und ‚O.C., California‘ mag für den intellektuellen Filmkunstliebhaber, von dem ich mich nicht allzu weit ausschließen möchte, sicherlich nicht progressiv oder revolutionär in seiner Art und Weise sein. Doch wie Tarkovsky einmal „Wir schauen nur, aber wir sehen nicht“ erwiderte, so sollten wir auch ‚O.C., California‘ beurteilen, denn es steckt weitaus mehr drin als das, wonach es nach zwei, drei Malen Reinschalten ausschaut.
Und wie viele Songs habe ich schon für mich entdeckt, die die Serie und ihr Leben begleiten, die nun auch mein eigenes Leben untermalen? Wie viele Themen, die auch mein Dasein beschäftigen, haben die Figuren meiner Lieblingsserie ebenfalls durchlebt – vom Trennungsschmerz (nicht nur von Liebschaften ausgehend), Familienkatastrophen, dem schulischen Alltag, dem Desaster in der Nachbarschaft oder der ein oder anderen ungewollten Konfrontation mit der Vergangenheit?
‚O.C., California‘ bedeutet für mich ein großer Teil des Lebens, denn Abschalten kann ich bei dieser Serie wie bei keinem anderen Film.

Mittwoch, 19. September 2012

‚Ziemlich beste Freunde‘ und der Untergang der Sorglos-Komödie mit Subtext.

Intouchables
Komödie | Frankreich 2011 | FSK 6 | 110 Minuten | Regie: Eric Toledano, Olivier Nakache

Anlässlich des DVD-Starts, des Remakes und der Oscar-Favoritenbekanntgabe gibt es von mir ‚Ziemlich beste Freunde – Die Zweite‘.
‚Ziemlich beste Freunde‘ prophezeit nun schlussendlich den Untergang und die Abstumpfung der lockeren Komödie mit Kopplung zur sozialen Substanz. Kaum ein Film unserer Gegenwart findet so viele Anbeter wie der französische Kassenschlager von Eric Toledano und Olivier Nakache. Ein Film von lieben Menschen über liebe Menschen für liebe Menschen. Ein Film für das Publikum, das sich nach dem Feierabend gerne mit „gewagten Indiekomödien mit Anspruch“ schmückt.
Da ist Driss, ein schwarzer Kerl mit Migrationshintergrund, der gerne kifft, drollig herumafft und ulkig blöde Späße reißt, welcher sich um einen gelähmten, älteren Herren aus der höheren Mittelschicht, Philippe, pflegt. So niedlich dies klingt, ist es auch, und so simpel wie idiotensicher ebenfalls. Sie erleben die urkomischsten Geschichten miteinander, aus denen sich die blühendsten Klischees ihrer Charaktere nur so entpuppen: Driss ist das bildhafte Stereotyp für den jungen, perspektivlosen Flegel aus dem französischen Banlieue, Philippe das Klischee für den vermögenden Herrn des Spießbürgertums. Nun prallen sie aufeinander. Philippe, selbstverständlich Kunstliebhaber, zerrt Driss mit ins Kunstmuseum, selbstredend hat der ungebildete junge Kerl der Unterschicht von heute für Kunst nichts übrig, noch Ahnung davon; Philippe hört klassische Musik, Driss natürlich nur Hip-Hop und zieht Philippes Geschmack quietschfidel ins Lächerliche; und um des Bürschchens Bedürfnissen dennoch etwas näher zu kommen, rauchen die beiden zusammen ein Paar Joints. Volle Kraft voraus in die Tiefen eines modernen Films, der sich „ganz frisch und deshalb unheimlich mutig und gewagt“ mit dem Thema Behinderung auseinandersetzen zu versucht. Oder eher nicht.
Denn ‚Ziemlich beste Freunde‘ ist ein schmerzhafter Crowdpleaser, ein Publikumsliebling, der zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort den richtigen Humor und die richtige Empfindung des Zuschauers zu treffen weiß, welchem zu jenem Moment geradezu nach einem Lächeln oder wärmenden Behagen zu Mute ist. In anderen Worten: Wir sind dort angekommen, was das Kino niemals sein sollte: Eine Leinwand, die dem Menschen eine Geschichte – zweifelsohne unkompliziert und sorgenfrei – vorkaut und ihn nicht nur mit den Stereotypen unserer Welt konfrontiert, sondern eigentlich mit nichts anderem mehr beschäftigt ist, als uns diese immer wieder zu bestätigen, sie auszuführen, sie zu sympathisieren, sie uns nahezuführen und sie uns von ihnen zu überzeugen, weil sich ja jeder mit ihnen und ihrem Verhalten identifizieren kann, oder über sie her zu juxen, weil sich ja jeder in solche Situationen einfühlen kann. Zeitgenössischer Humor und die Komödie von heute an der Grenze zur Verblödung und seinem eigenen Elend im orientierungslosen, unbeholfenen, aber dadurch allemal bequem-naiven Spiel mit sozialer Bedeutung und gesellschaftlichen Schablonenfiguren. ‚Ziemlich beste Freunde‘ ist nicht einmal ansatzweise an anregenden Sozialfragen interessiert, was sogar richtig ansprechend hätte sein können. Er möchte uns ein Amüsement vorführen, mit dem er sich bestmöglich ins Herz des Zuschauers lullen kann. Und wie man unschwer erkennen kann: Er hat es geschafft.
Endprodukt ist der Erfolg „Lieblingsfilm: Ziemlich beste Freunde“ und gleichermaßen die Bedrohung des Qualitätskinos. Das Regisseurduo Toledano/Nakache fabriziert hier eine ätzende Melange aus Sozialdrama und moderner Komödie, gefüllt mit stereotypischen Äußerungen, Charakterzeichnungen und leeren, abgegriffenen Witzen, auf dass im Publikum von 0-99 Jahren für jeden etwas dabei ist. Es wird versucht, auf ebenso nervige wie gleichermaßen ach so ungezwungene Art und Weise ein neues Bild von „ich gehe ja so locker und cool mit dem Thema Behinderung um“ zu zeichnen – des Publikums Antwort: „Wie gewagt!“ und „Aktuell, unkonventionell und total neuartig!“. Spätestens nach Barry Levinstons ‚Rain Man‘ mit Dustin Hoffman und Tom Cruise ist es das nicht. Und ob es nun von bedeutender Intelligenz ist, zwei gesellschaftlich voneinander entfernte Stereotypen zusammenzubringen, mit denen die Regisseure nichts anderes außer „Schaut her, die Klischeevorstellung hat zusammengefunden!“ auszusagen haben, halte ich für vage. Man hat es sich hier lediglich simpel gemacht, das Massenpublikum zu beglücken.
Mühelos zu erfassen, ist ‚Ziemlich beste Freunde‘ ein Film zugeschnitten auf unsere heutigen „nachdenklichen“ Jahrgänge. Mögen ganz viele tierisch komisch und frisch und bedeutungsschwer finden, besonders letzteres ist es aber keine Sekunde, denn Klischees und Schablonen für menschliches Verhalten ist das Letzte, was wir und das zeitgenössische Kino gebrauchen können.
„Haben Sie keine anderen Ziele in Ihrem Leben?“ 




Dienstag, 18. September 2012

‚What Time Is It There?‘, weil wir nur Menschen gefangen in der Zeit sind.

Ni neibian jidian
Drama | Taiwan, Frankreich 2001 | FSK 6 | 116 Minuten | Regie: Tsai Ming-liang

‚What Time Is It There?‘ ist ein Film über den Sinn oder die Sinnlosigkeit des Lebens, des Sterbens, des Schwindens und des Dortbleibens, der Zeit, der Zukunft und der Gegenwart. Wie auch im vorigen 'Vive l’Amour' macht Tsai Ming-liang genau mit dem weiter, was er begann: Uns das Leben ein wenig mehr zu konkretisieren, den Menschen in der vertrautesten Vertrautheit wie selbstverständlich mit seiner selbst entgegenzusetzen, ihm eine einsam-melancholische Geschichte über Distanz und Nähe, Raum und Zeit, über die Welt und die Uhr, über Taipeh und Paris zu erzählen. 

Wir sind Menschen. Wir existieren. Und irgendwie, irgendwo und irgendwann leben und tun wir sogar irgendetwas.


Samstag, 15. September 2012

Alfred Hitchcocks ‚Die Vögel‘ und der Aufstand unserer Natur.

The Birds
Thriller | USA 1963 | FSK 16 | 119 Minuten | Regie: Alfred Hitchcock

Alfred Hitchcock lässt das idyllische Hafenstädtchen in Angst und Schrecken entflammen. Mit ‚Die Vögel‘ führt er uns einen Film vor Augen, wie die Natur uns einen Streich spielen und uns einen fatalen Strich durch die Rechnung ziehen könne. Eigentlich sind wir die, die die Natur zerstören, die sich überall ansiedeln und Tiere töten und essen. Die Natur sollte Angst vor dem Menschen haben. 

Der Mensch als Opfer der Tiere

Doch was Hitchcock hier macht, ist nichts Geringeres, als den Spieß umzudrehen. Der Mensch wird vom Tier zerstört, das Tier, die Natur, stellt für den Menschen die Gefahr, ja, eine existenzielle Bedrohung, dar. Nicht umgekehrt, wie wir es kennen und jeden Tag erleben. 

Doch warum gerade dort und jetzt? Hier muss unmittelbar unsere hervorragend von Tippi Hedren gespielte Protagonistin herhalten. Als sie auftaucht gerät alles außer Fugen. Sie bringt die beiden Schmuckvögelchen gefangen im Käfig mit ins Dorf. Quasi – völlig überspannt gesehen – spiegelt sie unser „Spiel mit den Tieren“ wider, an deren Hilflosigkeit und Befangenheit wir uns erfreuen. All die Angriffe der Tiere könnten hierbei eine Art Rache darstellen, praktisch einen „politischen Aufstand der Natur gegen den Menschen“ – auf deren Schildern „Tod der Melanie“ stehen würde. Dies wird besonders daran erkennbar, dass die Vögel überall dort auftauchen, ihren Blutsdurst stillen und Schäden anrichten, wo Melanie aufkreuzt. 

Die Übertreibung der Schicksalsironie

Doch Hitchcock ist clever genug, um uns nicht nur eine niedliche Ökobotschaft an den Menschen und eine Kritik an sein Leben in oder eher gegen seine Mutter Natur runterzureden. Er offenbart uns eine – in Anbetracht der Tatsache, dass es doch nur zwei kleine süße Vögel sind, die auch noch unglaublich glücklich in ihrem Käfig daher schauen und dem Menschen doch eigentlich nur eine liebe Freude bereiten sollen – völlig überspitze und beinahe doch richtig bizarre Widerspiegelung unseres Treibens. Eine Art Ironie des Schicksals; sie verschenkt liebgemeint zwei Vögelchen und löst damit die Gewalt einer ganzen Herde aus. In einer Szene prophezeit ein angetrunkener, gläubiger Mann das Ende der Welt. Und könnten wir es nicht tatsächlich schon erreicht haben? Was wäre, wenn unser Handeln gegen unsere Erde uns widerfahren würde? Wenn die Welt sich endlich widersetzen würde? Hitchcock lässt uns eigentlich nichts anderes erkennen, als dass der Mensch schwach ist, wenn die Natur sich doch nur wehren könne und würde.



Mittwoch, 12. September 2012

Der familiäre Mikrokosmos aus Taiwan: Edward Yangs Meisterwerk ‚Yi Yi – A One and a Two‘.

Yi yi
Drama | Taiwan, Japan 2000 | FSK 6 | 173 Minuten | Regie: Edward Yang

„Oma, warum ist diese Welt so ganz anders, als wie wir sie uns vorstellen? Hast du jetzt, wo Du sie wieder siehst, da auch dieses Gefühl? Ich mache jetzt meine Augen zu und sehe eine Welt, die wunderbar ist.“ 
Gefühle, Emotionen, Gefühle und Emotionen. Wie Edward Yang hier das heikle Familienleben seitens Unsicherheiten, Midlifecrisis und dem ganz normalen Erwachsenwerden und Heranwachsen fabriziert, ist eigentlich unbeschreiblich.




Robert Pattinson im neuen Cronenberg: ‚Cosmopolis‘ und die Welt hinter den getönten Limousinenscheiben.

Cosmopolis
Drama | Kanada, Frankreich 2012 | FSK 12 | 113 Minuten | Regie: David Cronenberg

“Lying is a scandal. But we all do it.” 

Was Cronenberg mit ‚Cosmopolis‘ erschafft, ist in erster Linie gar nicht nur das Kino über das kühle Dasein eines Finanzherrn einschließlich des waghalsigen Reifeprozesses eines Teeniestars. Er offenbart uns das, was sich hinter den verdunkelten Scheiben der Stretch-Limousine verbirgt. Er schaut hinein, aber dennoch nicht ganz dahinter. Cronenberg zeigt uns nicht das, was sich hinter der ganzen Oberfläche des gesamten Milieus befindet – wie vielleicht menschliche Seelen – und er zeigt auch keine einfache Kritik auf die Menschlichkeit in Relation mit Kapitalismus, sondern exakt das, was an dieser Oberfläche klebt und zu kleben droht: Sex, Gewalt, seltsame Gestalten, bedrohende Gegebenheiten und eine wirre Fahrt durch die Weltmetropole des Erfolgs, des Kapitals und Vermögens. Die Limousine braust durch New York, doch ihr Inneres scheint wie abgeschottet. Sie fährt durchs Chaos, doch der Protagonist bleibt unbeeindruckt, es bleibt ihm gleichgültig. Ein Bild der Sinnlosigkeit, des nichtsschaffenden Treibens im Irgendwo und der Gefühlslosigkeit, die letztlich nur durch die Selbstzerstörung gebrochen werden kann. Eine hämische Parallele zu unserer Zeit, denn haben wir nicht alle schon einmal Bekanntschaft mit einem solch ähnlichen Bild gemacht?




Donnerstag, 6. September 2012

Das Meisterwerk dreier asiatischer Meisterregisseure: ‚Three… Extremes‘.

Sam gang yi
Horror | Hongkong/Südkorea/Japan 2004 | 121 Minuten | FSK 18 | Regie: Fruit Chan, Park Chan-wook, Takashi Miike

Drei Meisterwerke von drei asiatischen Meisterregisseuren in einem Film. 'Three … Extremes', drei Extreme, drei genauso ausgefallene wie intelligente Kennerstücke. Doch ist es mehr als „nur“ Horror. Es ist Schauder auf brillantem Niveau. 'Dumplings', ein verstörendes Stück Degout von Fruit Chan, zeigt eine unzufriedene alternde Diva, die mit einer Geheimrezeptur aus Teigtaschen mit abgetriebenen Föten versucht, ihre jugendliche Schönheit zu bewahren, 'Cut' von 'Oldboy'-Regisseur Park Chan-wook zeigt eine teils selbstironische Entführung von Lee Byung-hun ('I Saw the Devil') und seiner Frau, worin die beiden Opfer selbst nahezu satirisch entlarvt werden, und 'Box' von Takashi Miike ('Audition') zeigt die kalte Vergangenheit einer Schriftstellerin, die als junges Mädchen ihre Schwester umbrachte, und nunmehr an schuldbelastenden Alpträumen leidet. Wir befinden uns in ‚Drei Extremen‘, sagt uns der Titel des Films; drei Pole, die voneinander entfernt sind, und dennoch alle das Gleiche deuten. Denn in allen drei Filmen fügt es sich eigentlich nur um ein Thema: Die menschliche Sünde. Jedoch befinden sich alle in ihren Themen, ihrer Darstellung und Auffassung auf komplett anderen Ebenen – gefühlsmäßig, inszenatorisch sowie interpretatorisch. Einer der größten Schaffungen des so oder so beeindruckenden fernöstlichen Kinos.




Montag, 3. September 2012

‚Couchgeflüster‘ und warum wir nicht völlig geöffnet im engen Bekanntenkreis leben können.


Prime
Komödie | USA 2005 | FSK 0 | 106 Minuten | Regie: Ben Young

Liebeskomödien sind doof, klischeehaft und kitschig. ‚Couchgeflüster‘ ist großartig. Denn was der Film im Untergrund aufweist, ist eine fantastische Inschrift: Wir können nicht ohne Geheimnisse eng unter- und miteinander leben, wie wir es vielleicht als „normal“ bezeichnen würden. 

Das Geheimnis im Menschen

Rafi, gespielt von Uma Thurman, die nach ihren „unzerstörbaren“ Powerwoman-Rollen wie in ‚Pulp Fiction‘, ‚Batman & Robin‘ oder besonders in ‚Kill Bill‘ sich einer ganz konträren Rollenfigur hergibt, nämlich der verlorenen, deprimierten Frau Ende dreißig, erlebt dies am ganzen Leibe. Ihre Therapeutin, der sie ihre Geheimnisse und tiefsten Probleme schildert, wird plötzlich zur Schwiegermutter; der Therapeut, der nichts anderes als unser innerstes Ebenbild zu kennen scheint, wird zum Teil des engsten Bekanntenkreises. In einer Szene sagt Rafi: „Manchmal vergesse ich, dass du seine Mutter bist.“ Der Film zeigt eigentlich nichts anderes, als dass wir uns ständig verstellen, und sobald wir es nicht tun, der Mitmensch unsere Schwächen, Probleme und quasi unsere Seele kennt, dann stehen wir in komplett anderem Licht vor ihm: nackt. 
Jeder hat Geheimnisse und das ist auch gut so. Ohne sie könnten wir nicht miteinander leben und so umgehen, wie wir es alltäglich tun. Wir brauchen Geheimnisse, um Achtung und Respekt vor uns selbst und vor unseren Mitmenschen zu bewahren. Die Weisen sagen: „Wir können doch über alles reden. Wir sind doch offen für alles.“ Doch sind wir es? Vielleicht in einigen vielen Jahren. 



Samstag, 1. September 2012

Kommentarlose Bewertungen #2: August 2012.


Das war der August: Von Federico Fellini, den letzten Lars von Triers und Wong Kaw Wais, über die ersten Ingmar Bergmans bis zu einigen Scorseses und Hitchcocks. Aber seht selbst:

Aviator | Drama | Japan/USA 2004 | FSK 12 | 170 Minuten | Regie: Martin Scorsese [9.0]

Ashes of Time | Drama | Hongkong/China/Taiwan | FSK 12 | 93 Minuten | Regie: Wong Kar Wai [8.0]

Days of Being Wild | Drama | Hongkong 1991 | FSK 12 | 94 Minuten | Regie: Wong Kar Wai [7.0]

As Tears Go By | Drama | Hongkong 1988 | FSK 12 | 102 Minuten | Regie: Wong Kar Wai [6.0]

Der zerrissene Vorhang | Thriller | USA 1966 | FSK 12 | 122 Minuten | Regie: Alfred Hitchcock [4.0]

Du sollst mein Glücksstern sein | Musikfilm | USA 1952 | FSK 12 | 98 Minuten | Regie: Stanley Donan, Gene Kelly [7.0]

Harry und Sally | Komödie | USA 1989 | FSK 16 | 90 Minuten | Regie: Rob Rainer [5.0]

Ginger Snaps III: Der Anfang | Horror | Kanada 2004 | FSK 16 | 94 Minuten | Regie: Grant Harvey [7.0]

Kleine Morde unter Freunden | Komödie | Vereinigtes Königreich 1994 | FSK 16 | 89 Minuten | Regie: Danny Boyle [6.0]

Blondinen bevorzugt | Musikfilm | USA 1953 | FSK 6 | 88 Minuten | Regie: Howard Hawks [6.5]

Niagara | Thriller | USA 1953 | FSK 16 | 89 Minuten | Regie: Henry Hathaway [5.0]

Brüno | Komöide | USA 2009 | FSK 16 | 78 Minuten | Regie: Larry Charles [2.0]

Borat | Komödie | USA 2006 | FSK 12 | 82 Minuten | Regie: Larry Charles [2.0]

Berlin Calling | Drama | Deutschland 2008 | FSK 12 | 100 Minuten | Regie: Hannes Stöhr [3.0]

Ginger Snaps II: Entfesselt | Horror | Kanada 2004 | FSK 16 | 91 Minuten | Regie: Brett Sullivan [7.5]

Goldrausch | Stummfilm | USA 1925 | FSK 6 | 72 Minuten | Regie: Charlie Chaplin [7.0]

Lichter der Großstadt | Stummfilm | USA 1931 | FSK 6 | 87 Minuten | Regie: Charlie Chaplin [8.0]

Der große Diktator | Satire | USA 1940 | FSK 6 | 125 Minuten | Regie: Charlie Chaplin [9.0]

Remember Me | Drama | USA 2010 | FSK 12 | 113 Minuten | Regie: Allen Coulter [4.5]

Kick Ass | Komödie | Vereinigtes Königreich/USA 2010 | FSK 16 | 117 Minuten | Regie: Matthew Vaughn [4.0]

Beautiful Boxer | Drama | Thailand 2003 | FSK 12 | 118 Minuten | Regie: Ekachai Uekrongtham [4.0]

Letztes Jahr in Marienbad | Drama | Frankreich/Italien 1961 | FSK 16 | 94 Minuten | Regie: Alain Resnais [9.0]

Ted | Komödie | USA 2012 | FSK 16 | 106 Minuten | Regie: Seth MacFarlane [0.0]

Der Fremde im Zug | Kriminalfilm | USA 1951 | FSK 12 | 93 Minuten | Regie: Alfred Hitchcock [9.0]

Berüchtigt | Kriminalfilm | USA 1946 | FSK 16 | 98 Minuten | Regie: Alfred Jitchcock [9.0]

Das Schweigen | Drama | Schweden 1963 | FSK 16 | 95 Minuten | Regie: Ingmar Bergman [8.5]

Wilde Erdbeeren | Drama | Schweden 1957 | FSK 16 | 92 Minuten | Regie: Ingmar Bergman [8.0]

Das siebente Siegel | Drama | Schweden 1957| FSK 16 | 96 Minuten | Regie: Ingmar Bergman [7.5]

Der talentierte Mr. Ripley | Drama | USA/Italien 1999 | FSK 12 | 139 Minuten | Regie: Anthony Minghella [3.0]

Tron | Science-Fiction | USA 1982 | FSK 12 | 92 Minuten | Regie: Steven Lisberger [3.0]

Der Spiegel | Drama | Sowjetunion 1975 | FSK 12 | 108 Minuten | Regie: Andrej Tarkovsky [7.0]

Wie ein wilder Stier | Sportdrama | USA 1980 | FSK 16 | 124 Minuten | Regie: Martin Scorsese [7.5]

Michael | Drama | Österreich 2011 | FSK 16 | 96 Minuten | Regie: Markus Schleinzer [5.0]

Manderlay | Drama | Dänemark 2005 | FSK 12 | 139 Minuten | Regie: Lars von Trier [7.0]

Idioten | Drama | Dänemark 1998 | FSK 16 | 117 Minuten | Regie: Lars von Trier [7.0]

The Last Samurai | Historienfilm | USA/Neuseeland 2003 | FSK 12 | 144 Minuten | Regie: Edward Zwick [4.0]

Prologue | Kurzfilm | Ungarn 2004 | 5 Minuten | Regie: Béla Tarr [6.0]

Willkommen bei den Sch’tis | Komödie | Frankreich 2008 | FSK 0 | 106 Minuten | Regie: Dany Boon [6.5]

Achteinhalb | Drama | Italien/Frankreich 1963 | FSK 16 | 138 Minuten | Regie: Federico Fellini [8.5/10]

Die Nächte der Cabiria | Melodram | Italien/Frankreich 1957 | FSK 16 | 111 Minuten | Regie: Federico Fellini [8.0]

Rächer der Unterwelt | Kriminalfilm | USA 1946 | FSK 16 | 103 Minuten | Regie: Robert Siodmak [8.5]

The Boss of It All | Komödie | Dämekark 2006 | FSK 12 | 98 Minuten | Regie: Lars von Trier [5.0]

Martin Scorseses ‚Taxi Driver‘: Ein wichtiger, doch zu häufig völlig missverstandener Film.

Taxi Driver
Drama | USA 1976 | FSK 16 | 113 Minuten | Regie: Martin Scorsese

„10. Mai. Endlich hat es geregnet. Dreck und Abfälle wurden von den Bürgersteigen gespült.“

Mir lief in den letzten Jahren des Öfteren ein unangenehmer Schauer über den Rücken, wenn ich Kommentare wie „Ich kann mich mit Travis identifizieren“ lesen musste. Sicherlich sind wir alle mal angewidert von lasterhaften Menschen mit dreckigen Berufen oder von seltsamen Gestalten, die so leben, wie wir es uns im Traum nicht vorstellen könnten. Dennoch ist eine Identifikation mit Travis mehr als bedenklich, denn er selbst ist das Produkt seines Hasses. Er selbst ist längst zum Dreck geworden. Wenige Jahre zuvor mordete er im Krieg, er „reinigte“ das Schlachtfeld vom Gegner, dem von der Regierung eingeredeten Bösen, Dreckigen und Schlechten. Zurück im für ihn nun sinnlos erscheinenden New York macht er sich genau das zur Beschäftigung und gleichermaßen zum Problem: Er möchte seine Stadt, welche in seinen Augen vielleicht als sein Vaterland erscheint, vor dem Feind und dem „Abnormalen“ verteidigen, quasi „für sein Vaterland kämpfen“; genau, wie er es die letzten Jahre tat. Was hier mit Travis passiert, ist ein ganz normaler Prozess des Menschen: Er hat gelernt, er wiederholt das Gelernte und übernimmt das Verhalten. Oder noch schlimmer: Er ist davon traumatisiert. Er beginnt, das „Unreine“, „Andersartige“ zu hassen. Scorsese zeigt eine abgründige Gesellschaft anhand eines Charakters, der mitten drin in der abgründigen Gesellschaft dazugehört. Ein Charakter, der genauso abgründig ist, wie das, was er verabscheut. Scorsese zeigt die Widersprüchlichkeit eines Mannes, der alles hasst, sich dabei aber die ganze Zeit selbst in der von ihm so verhassten Sphäre aufhält. Er hasst die Perversen, aber geht ins Pornokino, in welchem es nur so von Perversen wimmelt. Er hasst die Menschen des Nachtlebens, aber möchte die Berufung, sie durch das Nachtleben zu fahren. Er erscheint zweifelhaft und widersprüchlich und dabei ist dies genau der Punkt, den der Film widerspiegeln möchte: Die Welt ist zweifelhaft und widersprüchlich, der Mensch ist abgründig und unfair. 
In einer Szene zeigt der Film Travis‘ Kollegen über  Prostituierte und Homosexuelle herziehen. Ist dies als ernstgemeinte „Mahnung“ vor Menschen zu deuten, die unsere Welt etwas „abnormaler“ macht? Nein, ich denke nicht. Wir sollten Scorseses 'Taxi Driver' mehr als pessimistisches Zeitdokument sehen als eine Entlarvung nach dem Leitmotiv „Schaut, was für ekelhafte Leute es gibt!“. Ist es nicht verblüffend, dass der Film genau nach der Zeit entstand, als all die Hippies und Blumenkinder für den Frieden auf die Straße gingen? Vielleicht lässt das die Botschaft etwas deutlicher erscheinen: Die Welt lebt noch nicht in Frieden, auch nicht, wenn der Krieg längst vorbei ist. Ganz im Gegenteil: Der Krieg hängt sich wie ein toter, aber noch immer herrschender Schleier über der Menschheit. 
Niemand sollte sich mit dem Film identifizieren, denn er selbst ist das, was er kritisiert: Der brodelnden Kessel einer Spirale aus Hass und Gefühlskälte. Scorsese zeigt nur, aber er meint nicht.